Ein gutes Bild verkeilt sich im Kopf

1. Ein gutes Bild muss nicht schön sein, sondern interessant. Ungetrübte Schönheit gehört in das Reich der Werbeversprechen, Kunst hingegen lebt von Kontrasten.
2. Ein interessantes Bild kommt nicht ohne Gestaltung aus, aber nahezu ohne Motiv. Ein Bild ist aus Akzenten, Linien und Flächen aufgebaut, nicht aus Dingen. Es ist die visuelle Komposition, die einer Fotografie Leben einhaucht, nicht das, was darauf abgelichtet ist. Die Abbildung der Dingwelt ist weniger Sache des Bildes als der Sprache.
3. Ein gestaltetes Bild hat eine Aussage. Sie ergibt sich daraus, wie Inhalt und Gestaltung sich zueinander verhalten. Realismus ist nur eine Stilform neben anderen. Der Blick durch das Objektiv einer Kamera ist noch lange kein objektiver Blick.
4. Im Stil wird dieses Verhältnis zur Welt anschaulich. Jedesmal wenn wir den Auslöser drücken, geben wir uns damit durch unsere Haltung selbst zu erkennen. Es mag zwar zu den höchsten Aufgaben des Künstlers gehören, mit seiner Kunst Fragen aufzuwerfen, die zu beantworten er selbst nicht im Stande ist. Die künstlerischen Entscheidungen aber, durch die sein Werk Gestalt angenommen hat, sind Lösungen auf Probleme, die nur er gefunden hat.
5. Nutzen wir die Fotokamera, um der Schönheit die Mumienbänder lebloser Perfektion herabzureißen, sie neu zu beschauen und damit aus ihrer Erstarrung zu befreien. Bilder bleiben im Kopf, weil sie Szenen und Emotionen wachrufen und den Betrachter dazu anregen, sich zu beteiligen und das Gesehene zu ergänzen, zu deuten, weiterzuspinnen.

"Kunst muss  in der Nacht leuchten wie Klapper-schlangen-gift"

M. Biesenack